Flipflop       SF-Stories      Home

  Der Bus zum Flughafen machte einen Umweg, ratterte über Bahngleise an dem Freeway vorbei. Das Asphaltband der Stadtautobahn, unbenutzt. Das an einem Montag Morgen. Soldaten. Sie sassen in Mannschaftswagen, vertraten sich die Beine auf den Strassen. Andere beobachteten mit Feldstechern das Gelände, die Häuser, die Strassen, das evakuierte Viertel. Fahrgäste diskutierten, Ron Davis sagte nichts und dachte an den gestrigen Tag…

  Wie eine Spinne am Faden kroch der gläserne Fahrstuhl zum Erdgeschoss hinab. Ron Davis sah das Atrium mit dem Check-In, den Ledersesseln, dem Restaurant. Er stieg aus dem Lift und sah sich um. Jemand klimperte auf dem Klavier ‘I don’t stand a ghost of a chance’. Tom Rosling drückte sich aus einem der tiefen Sessel und winkte.
  "Schön dich zu sehen. Wie war dein Flug?"
  Rosling sprach, während sie am Frühstücksbuffet entlang gingen. Er hörte nicht auf, als sie am Tisch saßen, redete auf dem Weg zum genetischen Institut. Davis hatte seinen Schulfreund vom Hotel aus angerufen. Er besuchte in Freetown ein Polizeiseminar und hatte einen freien Tag. Rosling ergriff Davis Arm.
  "Ich kann dich nicht ins Labor mitnehmen. Sicherheitsvorschriften. Stecke dich zum Wachpersonal. Die haben Monitore."
  Männer im dunklen Raum. Wachpersonal. Monitore in den Wänden. Rosling im Labor mit einigen Frauen und Männern. Sie starrten auf eine Maus. Auf einem anderen Bildschirm die Grossaufnahme. Das Tier schnupperte, lief hin und her. In einem Glaskäfig. Dann wurde ihr Bild schwächer, verschwand in bläulichem Licht. Das Licht. Ein dicker Wurm wurde darin sichtbar. Ein Tier mit Fühlern. Davis dachte an die Goa’ulds aus der Serie ‘Stargate’.
  Eine Maus rannte in den Käfig. Sie schien erregt. Lief von einer Wand zur anderen. Der Wurm drehte seinen Kopf und richtete die Fühler auf sie. Die Maus fiel um, zuckte und rührte sich nicht mehr. Die Zuschauer wurden unruhig. Ihre Gesichter zeigten Nervosität. Sie schienen miteinander zu diskutieren, sahen wieder auf den Käfig, wo der Wurm sich im bläulichen Licht auflöste, die Maus zum Vorschein kam. Davis sah zwei Mäuse. Eine war tot.
  Die Tür wurde aufgerissen.
  "Ron, hast du das gesehen?, rief Rosling."
  "Was ging da vor?" Sie gingen zum Kaffeeautomaten.
  "Wir verändern Gene. Hast du gesehen, was aus der Maus geworden ist?" Davis suchte ein paar Münzen hervor.
  "Wir haben eine Strahlung entwickelt, die Exons ausschaltet und Introns aktiviert und umgekehrt." Kaffee gurgelte in die Becher.
  "Exons sind Teile von Genen mit Kodiersequenz. Den Programmen, die uns zu dem machen, was wir sind. Von den Introns, die auf der DNA zwischen den Exons liegen, dachten wir, sie seien nutzlos. Die Natur entfernt sie bei der Transkription in die Messenger RNA. Mann, wie haben wir uns da geirrt!"
  "Und was ist Messenger RNA?", fragte Davis, als sie in der Cafeteria Platz nahmen.
  "Die endgültige Kodierung zur Herstellung von Proteinen, aus denen sich menschliche Körperzellen zusammensetzen. Das passiert im endoplasmatischen Retikulum."
  "Nun ist gut Tom." Davis lachte. "Genug von dem Schweinkram."
  "Noch eines, Ron. Es ist Neutrinostrahlung, welche die Introns aktiviert. Neutrinos oszillieren innerhalb von drei Zuständen und Phasen. Zwischen Elektronen-, Tau und Muonneutrinos. Du hast das blaue Licht, die Cerenkow-Strahlung gesehen."
  "Und wenn die Introns aktiviert sind, wird ein Wurm aus der Maus? Und die gleiche Strahlung kehrt beim zweiten Mal den Prozess wieder um? Ein Flipflop? Wieso geht es so schnell?" Davis sah, wie sich die Cafeteria füllte.
  "Weil es ein anderer Zustand ist. Introns sind aktiv, Exons sind passiv und umgekehrt."
  "Du hast doch gesagt, das erst Proteine erzeugt werden müssen."
  "Du hast Recht." Rosling schob seinen Stuhl zurück. "Da muss mehr hinterstecken. Es ist phantastisch. Quantendynamische Prozesse, welche den Zeitfaktor eliminieren. Uns eröffnet sich ein neues Forschungsgebiet."
  Wie bei einem Verhör, dachte Davis und fragte: "Woran ist die zweite Maus gestorben?"
  "Das wissen wir nicht. Wir hatten das Experiment schon mehrere Male durchgeführt und dann das Militär informiert." Rosling sah auf die Uhr und stand auf.
  "Es geht wieder los. Diesmal mit einer Versuchsperson."
  "Wer gibt sich denn dafür her?"
  "Einer aus der Todeszelle. Ihm wurden fünfzehn Jahre Haft angeboten."
  "Wie heißt der Mann?"
  "Stromford."
  Davis sah bei den Wachmännern auf den Monitor. Ein Mann sass im Labor auf einem Stuhl. Er war gefesselt. Mit Handschellen, mit Fußketten. Ein Mann in mittleren Jahren. Kahl, steckte in einem orangefarbenen Overall. Die gleichen Zuschauer im Labor und einige Uniformierte. Der Mann verschwand in der Cerenkow-Strahlung und kam als armlanger Wurm wieder zum Vorschein. Seine Fühler zitterten. Er kreiste mit seinem Kopf um dreihundertsechzig Grad. Die Zuschauer griffen sich an den Hals, schüttelten sich in Krämpfen und fielen zu Boden.
  "Raus hier!," schrie Davis, lief aus dem Raum und hetzte zum Ausgang, über die Strasse. Keuchend drehte er sich um und lehnte sich an eine Mauer. Sie hatten ein Monster erzeugt. Militärische Anwendung. Davis lachte trocken. Nun waren die selbst tot. 

  Rosling kam mit einer Plastiktüte aus dem Ausgang. Davis lief auf ihn zu.
  "Komm nicht näher!", schrie Rosling. "Ich habe ihn hier drinnen!" Rosling zeigte auf die Tüte und ging mit schnellen Schritten zum Parkplatz.
  Davis blieb auf der Strasse stehen. "Was willst du damit?"
  "Er will zu seiner Frau! Er zwingt mich dazu!", brüllte Rosling und verschwand um die Ecke. Dann kam ein Wagen hervor und raste Richtung Aussenbezirke. Davis rannte ins Institut zurück. Der Portier lag tot in seinem Sessel. Die Wachmänner regten sich nicht mehr und Davis griff zum Handy.

  Blaue und grüne Lichter blinkten. Polizeiwagen vor einem Hochhaus. Dann sah Davis Feuerwehr und Ambulanz. Er hatte sein Seminar vergessen. Sie warteten. Stunden vergingen und es wurde Abend und dunkel. In Stromfords Wohnung brannte Licht. Rosling zeigte sich am Fenster, öffnete es und schrie: "Fahrt weg, sonst werdet ihr getötet."
  Ein Laster fuhr heran. Ein Mann sprang heraus und zog die Plane zurück. Davis sah den Strahler auf der Ladefläche. Der Mann drückte einen Knopf und Rosling verschwand in der Cerenkow-Strahlung.
  "Was habt ihr gemacht, ihr Schweine!", rief Stromberg aus dem Fenster. "Eben noch war meine Frau hier und jetzt ist sie ein Wurm!"
  Flipflop, dachte Davis. Sind Stromfords Frau und Rosling Menschen, ist Stromford ein Wurm. Ist Stromford Mensch, sind seine Frau und Rosling Würmer. Der Mann am Laster betätigte den Strahler und Stromford verging im bläulichen Licht. Feuerwehrleute liefen mit einem Sprungtuch heran.
  "Frau Stromford, Herr Rosling, springen Sie!", brüllte jemand durch das Megaphon. "Springen Sie!" Etwas prallte auf das Tuch. Die Feuerwehrmänner sahen, wie der Kopf des Wurmes aus dem Sprungtuch herausragte. Fühler zuckten, der Kopf kreiste und Davis schaltete den Hotelfernseher aus. Er hatte genug gesehen.

SF-Stories     Home