Zombiewalk        SF-Stories       Home

  New Hampshire. Der Wagen kroch unter den Gewitterwolken dahin. Häuser, weiße Schachteln unter dem Mond. Hinter ihnen lauerte der Atlantik. Auf einem Schild fragte die Kirche 'Assembly of God': 'Raucher oder Nichtraucher? Ist dein Platz zur Hölle schon reserviert?', dann war Frank in Massachusetts. Ein Ortsschild leuchtete unter Scheinwerfern. Salisbury. Er fuhr auf einen Parkplatz und stieg aus. Die Sommerhitze des Asphalts wärmte seine Haut. 
  Minuten später kämpfte Frank sich durch den Eingang des Strip Clubs, erwischte einen der Sitze vor dem Laufsteg und rückte den Stuhl zurecht. Lautlos huschte die Bedienung zwischen Tischen umher. Die Stille lähmte. Es schien, als sei jeder der Gäste mit seinen Gedanken an einem anderen Ort.
Franks Nachbar zur Rechten, ein Bär von einem Mann im Holzfällerhemd, setzte die Flasche ab und rückte sich die Baseballkappe zurecht.
  "Scheißspiel. Schon gehört? Sie setzen die N-Rakete ein. Kein Lebenszeichen mehr von der Westküste." 
  "Die N-Rakete, Wahnsinn, ich will nicht daran denken. Aber die haben wir doch auch." Frank schüttelte den Kopf. Eine junge Frau im Trenchcoat sprach mit dem Soundmaster und drückte ihm eine Kassette in die Hand. Die Bedienung brachte das Bier, Frank legte ein paar Dollars auf den Steg.
  "Sind wir alle spitz?", schallte es aus dem Lautsprecher.
  "Ja!", verlor sich eine dünne Stimme.
  "Hier ist sie, die einzigartige Wandaaaaaaa!"
  Musik plärrte. Die Frau tanzte über die Bühne, schälte sich aus dem Mantel, knöpfte Rock und Bluse auf, liess sie auf den Steg fallen. BH und Slip folgten. Frank sah ihr gefrorenes Lächeln, mit Silikon gefüllte Brüste, die sich auch nicht bewegten, als sie ein Bein um die eingelassene Stange legte und daran herumschwang. Sie hatte die Ausstrahlung einer beschäftigten Putzfrau. Frank steckte seine Dollars wieder ein. 
Lustlos spulten die anderen Frauen ihr Programm ab. Frank fielen die Augen zu. Wieso hatte er sich in die Gynäkologenreihe gesetzt und warum fingen die Männer zu gröhlen?
  "Wenn es eine Rakete gibt, dann ist es Lisa!", rief sein Nachbar, sprang auf und stimmte in das Gebrüll ein. Frank riss die Augen auf. Die Frau schien von innen heraus zu glühen, ihr Lächeln war nicht aufgesetzt. Gepiercte Schamlippen ließen ahnen, wie sehr sie hinter ihrer Arbeit stand. 
  "Mann, die möcht ich über meinen Pisser ziehen." Das Gesicht des Mannes neben ihm wurde dunkel. 
  "Komisch," hörte Frank sich sagen.
  "Was?"
  "Keine Nippelringe."
  "Pack nen Dollar hin, und du wirst sehen, Buddy."
  Kastanienbraunes Haar, blaue Augen, strahlendes Lächeln. Frank schätzte sie um die dreissig. Lange, muskulöse Beine, schmale Hüften, Brüste, die mitschwangen und doch nichts an Festigkeit eingebüsst hatten. Frank legte einen Dollarschein auf die Bühne. Lisa hechtete um die Stange, tanzte zu jedem Gast, der Scheine auf den Steg geworfen hatte, und liess ihren Körper sprechen. Sie heftete ihren Blick auf den Mann vor sich, gab ihm das Gefühl, sie sei nur für ihn da. Frank ging es nicht anders. In diesem Moment tanzte sie nur für ihn, bestand aus Brüsten, Schamlippen und ihrem Blick, der in seinem Hirn explodierte. Lisa ergriff den Dollar und spießte ihn auf ihre Brust. Frank stierte auf die durch die Banknote poppende Warze. Seine Hand suchte nach weiteren Dollars, als die Frau schon vor dem Nebenmann in die Hocke ging. 
  "Hot Chick, was?" Sein Nachbar legte noch ein paar Scheine auf die Bühne. "Sie kann einen vergessen machen, dass wir bald Toast sind. Wie lange dauert es noch? Tage? Stunden?"
  Frank zwang sich nicht daran zu denken. Später, als Lisa zwischen den Tischen umherwanderte, sprang er vom Stuhl und ging auf die Frau zu. Nervös holte er fünfzig Dollar hervor und stopfte sie ihr in die Bluse.
  "Ich bin Frank. Wie wäre es mit einem Lap-Dance?" Lisa blickte zu ihm hoch, lächelte ihn an, nahm seine Hand und zog ihn hinter sich her.
Ein kleiner Raum, eine junge Frau, ein älterer Mann und schummrige Beleuchtung. Das Schild an der Wand: 'Ein Lied = zwanzig Dollar'. Mindestens zwei Songs, dachte Frank. Krachend fiel die Tür ins Schloss. Lisa schaltete den CD-Spieler ein und drückte Frank auf eine Couch. Ein langsames Lied. Lisa tanzte in dem Raum umher, knöpfte ihre Bluse auf, liess sie zu Boden fallen, stieg aus ihrem Rock, kam ganz dicht an Frank heran, als sie ihren BH löste und auf das Sofa warf. 
  "Deine Titten sind wie die Gipfel der Rocky Mountains unter der Abendsonne."
  "Das ist so romantisch und süss, wie du das sagst, Frank." Dann stand sie nackt vor ihm und setzte sich auf seinen Schoß. Lisa legte sich ins Zeug. Die Wände vibrierten. War es Lisa? Einbildung? Das Soundsystem? Stöhnend drückte sie ihre Brüste gegen sein Gesicht. Frank schnappte mit dem Mund nach den Warzen. Lisa schlang ihre Beine um seine Hüften, liess ihren Oberkörper hintenüber fallen. Ihre Haare berührten den Teppich. Mit den Beinen zog sie ihn zu sich auf den Boden herab, dann schnellte sie ihren Oberkörper hoch, griff zwischen seine Schenkel und sah ihn an.
  "Was ist, Frank? Liegt es an mir?" Er schüttelte den Kopf und sah an ihr vorbei. 'Wieder nichts', dachte er, 'Ich bin zu alt für den Scheiß. Oder es sind die Blutdruckpillen.'
  "Es hat keinen Zweck. Meine Schuld. Lisa, du warst wunderbar. Vielleicht ein anderes Mal."  Er stützte seinen Kopf in die Hände und sah auf die Wand. Das Rascheln ihrer Kleider, das Ratschen des Reißverschlusses verstärkten Franks schweigsame Grämlichkeit.
  "Mach dir nichts draus." Lisa tätschelte seine Wange und verliess den Raum. Frank hörte ihren grellen Schrei. Sie fiel wie eine mannshohe Puppe durch die Tür. Heftig atmend lehnte Lisa an der Wand. Aufgerissene Augen starrten durch Frank hindurch, dann schrie sie wieder. Ich bin in einem Roger Corman-Film, dachte Frank, sprang auf und hielt ihr die Hand vor den Mund. 
  "Was ist passiert?" 
  "Sie sind alle tot!" Frank rannte zur Tür, blickte in den Saal. Die Erschütterung! Die N-Rakete! Er ließ sich aufs Sofa fallen. Seine Muskeln versteiften sich.
  "Wieso können wir uns noch bewegen?" fragte er. Eine Neuronen-Rakete? Die Strahlung entfaltete ihre Wirkung nur für einige Sekunden. Frank klopfte gegen die Wand, riss einen Fetzen roten Samt herunter. Metall. Er kletterte aufs Sofa und pochte gegen die Decke. Lag es an der Legierung? Er stieg vom Sofa und öffnete die Tür. Lisa taumelte zum Ausgang, Frank ging ihr nach. Einige Männer lagen auf dem Boden, andere hingen bewegungslos in ihren Sesseln. Frank wurde übel. N-Raketen töteten nicht, es war schlimmer.
 
Lisa war an der Kasse stehengeblieben, starrte auf Männer, die wie ungeordnete Holzscheite übereinander lagen, dann lief sie zum Parkplatz. 
"Was willst du jetzt machen?", rief Frank hinter ihr her. Er hörte noch: "Helen, meine Freundin. Ich muss zu ihr." Dann fuhr sie davon.
Strassenbeleuchtung und Ampeln funktionierten noch, Menschen lagen auf Bürgersteigen, Fahrzeuge waren ineinandergekeilt, Fahrer hingen über Lenkrädern. Frank fuhr hinter Lisa her, um die Wagen herum, über den Bürgersteig, an Menschen vorbei, deren Arme und Beine anfingen sich zu bewegen. Der Wagen Lisas bog in eine Seitenstraße und hielt vor einem mehrstöckigen Haus.
Frank bremste, sprang aus dem Auto und lief Lisa hinterher, die im Eingang verschwand. Ein Lift fuhr nach oben. Keuchend rannte Frank die Stufen empor. Ein Schlüssel drehte sich. Lisa kreischte, dann stand Frank hinter ihr in der Tür. 
Die Freundin trug einen Kurzhaarschnitt. Ein Schrank, der wie ein Golem durch das Glas der Tür auf den Balkon hinaus stapfte. 
"Helen, bleib stehen!" Lisa hielt die Frau mit beiden Armen von hinten umschlugen. Schnittwunden durchzogen ihr Gesicht. Helen zog Lisa mit und kippte mit einer torkelnden Bewegung über das Balkongitter. 
"Nicht, Helen!", schrie Lisa.
"Lass los!" Frank packte Lisas Beine. Helen schlug auf den Bürgersteig. Frank zog Lisa mit letzter Kraft auf den Balkon zurück und lehnte sich erschöpft gegen die Mauer.
"Helen. Sie ist durch die Balkontür gegangen. Sie ist da einfach durch gegangen!" Lisa presste die Hände vor ihr Gesicht. Menschen stolperten über die Frau, über Bürgersteige und Fahrbahn, stiessen gegeneinander, gegen Schaufenster und Laternenpfähle. In den Autos pressten sich Gesichter gegen die Fenster. 
Frank desinfizierte die Schnitte in Lisas Gesicht. Im Wohnzimmer schaltete er den Fernseher ein. 
Football Stadion unter Flutlicht. Zuschauer und Spieler wanderten auf dem Spielfeld umher, fielen übereinander, richteten sich auf und setzten ihren Weg fort. Das Football-Ei lag im Gras.
"Was ist mit den Leuten? Ich verstehe das nicht."
"Die Neuronen Rakete." Frank zappte auf andere Kanäle. Testbilder. Dann sahen sie den Präsidenten. 
"Vor einigen Stunden haben wir zurückgeschlagen. Unsere N-Raketen haben ihre Ziele gesucht und getroffen. Die feindlichen U-Boote vor unseren Küsten werden mit N-Torpedos unschädlich gemacht. Ich vertraue darauf, dass die schreckliche Prüfung an uns…" Das Bild wackelte, als der Kopf des Präsidenten auf die Tischplatte fiel. 
Frank drückte die weinende Frau an sich, während sein Blick zur Hausbar wanderte.
  Frank erwachte mit brummendem Schädel. Das mit dem Whisky war keine gute Idee gewesen. Über ihnen rummste es, als fiele ein Kleiderschrank um. Lisa hatte sich die Bettdecke über den Kopf gezogen. Er sprang aus dem Bett und ging unter die Dusche, zog sich an und trat auf den Balkon. Menschen torkelten auf der Straße. Zombies. Frank ging zu Lisa ins Schlafzimmer. Doppelbett. Helen und Lisa. Lisa und Helen. War Lisa gay? Sie wachte auf, sah ihn erschrocken an und lächelte verkrampft. 
  "Du bist es. Wie heisst du noch?" 
  "Frank. Dein letzter Gast." 
  "Ich bin froh, dass du bei mir geblieben bist."
  "Wir sind die einzigen, die ihr Gehirn nicht abgegeben haben." 

  "Himmel, die sind immer noch da," rief Lisa, als sie später aus dem Fenster sah. Frank öffnete die Wohnungstür: "Fahren wir ins Kaufhaus, ich brauch ein paar Sachen." Über ihnen polterte etwas. Frank deutete mit dem Kopf zur Decke. "Oder willst du hier bleiben?"

  Sie kamen im Schritttempo voran. Menschen prallten gegen ihren Wagen. Neurozombies. Lisa trug ein T-Shirt, Shorts und Tennisschuhe, hatte ihre Haare zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. All-American-Girl. Verängstigt blickte es auf die umhertorkelnden Menschen. Frank zwang sich, seinen Blick von Lisa abzuwenden. 
  Der graue Quader des Kaufhauses. Reihen geparkter Autos. Die Menschen darin. 
  "Die Armen." Lisa sah in einen der Wagen. "Sie wissen nicht mehr, wie sie da raus kommen." Frank und Lisa rissen Wagentüren auf. Männer, Frauen, Kinder quollen aus Fahrzeugen und wankten hinter ihnen her.
  "Frank, die kommen von allen Seiten!" Sie tauchten hinter den Wagen auf, humpelten, taumelten, torkelten aus allen Richtungen heran. Aufgerissene Augen, Münder. Groteske Pantomime. Lisa drehte sich um sich selbst. Nicht schreien, dachte Frank und erschrak. Lisa taumelte mit zuckendem Oberkörper auf ihn zu, zog ein Bein nach und wackelte mit dem Kopf. 
  "Frank, um Gotteswillen, mach es so wie ich!" Entrückt betrachtete Frank die tanzenden Brüste unter Lisas Hemd. Er hörte nicht, wie Lisa ihm zurief: "Frank, was ist mit dir los?!" Dann hatte sie ihn erreicht und schüttelte seine Schultern. "Zucken, Frank! Zucken! Mach es so wie die da!"
  Träumte er? Erstaunt spürte er eine Erektion. Lisa taumelte in einem weiten Bogen um ihn herum, ohne dass die Neuros sie beachteten. Glasige Augen, offene Münder, taumelnder Gang. Männer, Frauen, Kinder. Zombiewalk. Sie kamen näher. 
  "Zucken, Frank!" Lisa! Frank wachte auf. Zucken! Er machte es den Neuros nach. Frank und Lisa torkelten mit ihnen über den Parkplatz und näherten sich dem Kaufhaus. Sie streiften durch das Kaufhaus, kletterten über umgestürzte Regale und Kleiderständer, taumelten und schwankten, sobald sie einen Neurozombie sichteten, am Fuß der Rolltreppen, in den Gängen, Fahrstühlen. Die stießen sich um, prallten gegen Regale, Kleiderständer, Auslagen. 
  Lisas und Franks Einkaufswagen füllten sich mit Radio, Konserven, Getränke, Dosenöffner, Spirituskocher, Batterien, Kerzen, Zündhölzern, Taschenlampen, Benzinkanistern. In der Kaufhausapotheke sah Frank seine Blutdruckpillen. Er suchte weiter, riss die Schubladen auf und fluchte. Viagra, er fand es nicht. Wie hießen die anderen, Vialis? Cardenafil? 

  "Sind wir ganz allein auf der Welt?" Sie saßen in Lisas Wohnung vor dem Fernseher. Das Testbild starrte zurück. Frank antwortete nicht. Lisa ging in die Küche und Frank schaltete das Radio ein. Er kurbelte über die Sender. Durchs Rauschen, Knattern und Pfeifen hörte er eine schwache Stimme: 
"Hier New York, Hier New York! Ich rufe die Welt! Ich rufe die Welt!" Amateurfunker? Frank drehte die Stimme weg. Lisa kam zurück und sah ihn fragend an.
  "Kein Lebenszeichen", berichtete Frank. "Wir müssen verschwinden." 
  Lisa drehte sich zu ihm. "Wo sollen wir denn hin?" 
  "Aufs Land. Gemüse anbauen. Lebensmittel verderben."
  "Was," kicherte Lisa. "Gemüse anbauen und Lebensmittel verderben?" Frank zog eine Tablettenschachtel aus der Hosentasche und sah auf das Haltbarkeitsdatum. Was ist danach?, fragte er sich. Es gab keine Ärzte mehr. Leben wurde riskant. Frank sah Lisa an, dann an sich hinab. Verdammt, dachte er und log: "Wir sind die Einzigen auf der Erde. Sollten wir uns nicht um Nachwuchs kümmern? Und er raunte ihr ins Ohr: "Mach den Zombiewalk."
  "Zombiewalk? Was ist das?"
  "Wie du auf dem Parkplatz gegangen bist."
  "Und warum?"
  "Ich kriege davon einen Ständer." Lisa sprang hoch und hielt die Wohnungstür auf.
  "Mach das du raus kommst, du perverses Schwein. Zombiwalk! Ich glaub ich spinne. Ich bin hier nicht auf der Bühne." Frank verschwand im Treppenhaus, setzte sich auf eine Stufe und wartete.

  Am nächsten Tag erklärte Lisa, sie hielte Berufs- und Privatleben strikt auseinander. Sie fuhren an umgestürzten Trucks vorbei, ineinander verbissene Dinosaurier der Neuzeit. Sie hatten Reisetaschen mit. Der Karton mit den Utensilien lag im Kofferraum, die halb leere Whiskyflasche neben Lisa auf dem Beifahrersitz. Lisas Gesicht war gerötet, die Luft war heiß, Vögel kreisten über der Highway, als Frank über den Grünstreifen auf die Fahrbahn gegenüber fuhr und Gas gab. Lisa hielt ihm die Flasche hin. Er schüttelte den Kopf.
  "Sei kein Frosch. Es gibt keine Polizei mehr." Lisa nahm einen weiteren Schluck und zeigte auf einen BMW. "Da ist ein Bimmer."
  "Halt an", rief Lisa. "Den nehmen wir." Der Mann schwankte in dem offenen Cabriolet wie Kapitän Nemo beim Orgelspiel. Lisa setzte die Whiskyflasche an den Mund und trank, während sie mit der anderen Hand die Tür des BMWs aufriss. Der Mann fiel heraus. Frank packte das Gepäck um, dann waren sie wieder auf der Fahrbahn.
  "Hey!", Lisa hob sich aus dem Sitz und kreischte. "Jetzt kommen wir!" Kiechernd riss sie sich das Hemd vom Leib, wirbelte es in der Luft herum und ließ es los. Shorts und Slip flatterten hinter her. Franks Mund blieb offen stehen. 
  "Sieh nach vorn." Lisa rekelte sich auf dem Sitz. "Siehst du hier einen Polizisten?
  Warum ziehst du dich nicht auch aus?" Lisa fummelte an seinen Hosenknöpfen. "Ich helf dir dabei." Frank wehrte sich mit einer Hand gegen Lisas Bemühungen, mit der anderen riss er das Lenkrad herum. Ausfahrt Hartford. Er hatte es plötzlich eilig.
  "Wo willst du hin?" Frank jagte den Wagen über den Asphalt der Stadt und hielt an einem Holzschuppen, vor dem sich eine Reklametafel in die Höhe reckte.
  "Was? Gentlemen Bar?" Ein Strip-Schuppen? Was soll das?" Lisa sah auf den Schuppen, dann auf Frank, der aus dem Wagen stieg und ihr die Tür auf hielt. Er zog Lisa aus dem Wagen und schob sie in den Eingang. 
  Als sich ihre Augen an das schwache Licht gewöhnt hatten, schlichen sie an den Gästen vorbei, die durch den Saal torkelten. Andere standen auf der Stelle und bewegten sich wie Halme im Wind. 
  "Sie fanden den Ausgang nicht." Frank hakte Lisa unter und zog sie vor die Bühne. Lisa zeigte auf die Stripperin am Boden.
  "Sie ist von der Bühne gefallen. Hätte mir das nicht auch passieren können?"
  "Geh da rauf und mach den Zombiewalk."
  "Ohne Musik?" Frank lief hinter die Bühne und legte eine Platte auf. 
  "Gitchie, gitchie, ya ya da da - Gitchie, gitchie, ya ya here." Lady Marmalade schmetterte ihr 'Voulez-vous coucher avec moi ce soir'. Frank sprang in den Saal und setzte sich auf einen Barhocker. Ein Feuerwehrmann torkelte auf die Bühne. Lisa sah empor und kletterte zu ihm hoch, ging hinter ihm her und machte seine Bewegungen nach. 
  "Ist es das, was du willst?"
  "Zieh dir was über", rief Frank. 
  "Warum?"
  "Auf dem Parkplatz hast du was angehabt."
  "Und du kriegst nur einen hoch, wenn ich ein Hemd an habe? Wo bekomme ich jetzt ein T-Shirt her?" Jemand stieß den Barhocker um. Frank lag auf dem Boden. Drei Männer torkelten über ihn hinweg. "Zucken!, Zucken!" Er lag mit dem Gesicht auf dem Linoleum und sein Hirn spulte die Parkplatzszene ab. "Zucken!, Zucken!" Die Schwingungen Lisas Brüste unter dem Hemd, die ... . Er sprang auf und kletterte auf die Bühne.
"Ich habe einen!"
  "Was hast du?"
  "Ich hab 'nen Ständer!" Frank knöpfte sich die Hose auf. Mit offenem Mund, gerötetem Gesicht starrte er auf Lisa, die dicht an ihn herangetreten war. Ihr naiv verschlagener Blick, der volle lächelnde Mund. Miss World, Urmutter, moderne Eva. Und sie gehörte ihm. Lisa streichelte seine Ohren, legte ihre Hände auf seine Schultern und stieß ihn in den Saal zurück. 
  "Gäste haben auf der Bühne nichts zu suchen."
  "Du bist auch Gast!" brüllte Frank.
  "Ich bin Performer."
  "Und der da?" Frank zeigte auf den Feuerwehrmann.
  "Der hat doch aufzupassen, dass es hier nicht brennt."
  Frank sah an sich hinab, dann zu Lisa, dann zum Feuerwehrmann, schnappte nach Luft und brachte kein Wort hervor. Er blieb noch einen Augenblick stehen, dann machte er auf dem Absatz kehrt.

  Tageslicht blendete ihn. Im Osten der Stadt verteilte sich schwarzer Rauch. Frank lief zum Auto und fuhr los.
  "Frank, nimm mich mit!" Er hielt an.
  "Wo fahren wir denn hin?" Er sagte nichts.
  "Nun sag doch was. Bist du sauer? Aber du konntest mich doch nicht einfach auf der Bühne vögeln." Nach einer Weile fügte sie hinzu. "Das ist nicht erlaubt, und dann war da der Feuerwehrmann." 
  Sie passierten ein paar Fabriken, einige Maisfelder. Rauch stand über einem flachen weißen Gebäude. Sie hörten das Stottern eines Motors, fuhren an den Zaun heran, sahen das Schild: 'Lebenserhaltungsstiftung, Kryonisches Institut'. Frank stieg aus. Im Hof blieben sie stehen. 
"Das ist ein Schwungrad". Meterlange Speichen flirrten an ihnen vorbei. "Ana... ", wie heißt es doch gleich, ana anachronistisch. Wie lange gibt es dieses Institut denn schon?" Das Rad übte eine hypnotische Wirkung auf Frank aus. Er zwang sich, seinen Blick von dem wirbelnden Ungetüm abzuwenden. Ein Generator spuckte schwarzen Qualm, verfiel in Passivität. Frank beobachtete, wie das Licht der Sonne, das sich an den Speichen vorbei mogelte, auf Lisas Gesicht irisierte. Ihr Körper zitterte, als sie auf das Schwungrad starrte, dann fiel sie zu Boden. Ihr Mund stand offen und die Augenlider zitterten, während Krämpfe ihren Leib durchschüttelten. Epilepsie? Frank beobachtete wie Lisas Brüste schaukelten, wippten, zuckten, sich verkleinerten, vergrößerten und er spürte, wie seine Hose enger wurde. Er knöpfte sie auf. Das Schwungrad lief langsamer. Frank ließ die Hose fallen. Das Rad wuppte in gemächlicherem Rhythmus. Frank zog seinen Slip herab. Das Schwungrad stand und Lisa fragte von unten herauf: "Frank, was machst du da?"
Nichts. Es wurde wieder nichts. Etwas hinderte ihn im letzten Moment daran, ihre Hilflosigkeit auszunutzen. 
  Lisa ging ein paar Meter hinter Frank her, als er in das Gebäude trat, durch den Korridor eilte und eine Tür nach der anderen auf riss. Frauen und Männer lagen in den Büros. Frank hastete weiter. Dann standen sie in einem fensterlosen Raum und sahen nichts mehr. Frank fand den Lichtschalter. Es blieb dunkel. 
  "Keine Energie", sinnierte er laut. "Ich wette, das Schwungrad sollte bei Stromausfall das Notaggregat anwerfen." Frank lief zum Wagen zurück und holte die beiden Taschenlampen. Unter ihrem Licht erschien ein fahrbarer Seziertisch. Die Lichtkegel tanzten über die Wände. In einer waren große Fächer eingelassen, vor einer anderen stand ein Schrank mit Aktenordnern, daneben ein Tisch mit Monitor und Tastatur. Anzeigegeräte hingen an Schläuchen, die aus den Fächern kamen. Thermometer, wie Frank feststellte. 
  "Minus zweihundert Grad Celsius. Gefrierfächer. Jetzt sind es nur noch hundertachtzig. Die Temperatur steigt rapide an." Sie warteten, bis das Thermometer zehn Grad minus anzeigte. Lisa schüttelte sich. "Wie eine Leichenhalle. Sind da minus zweihundert Grad?"
  "Natürlich nicht." Frank zog ein Fach auf und sah drei Behälter aus durchsichtigem Glas.
  "Fass mit an." Frank deutete auf eine der Arretierklammern zu beiden Seiten der Glasglocken. "Drück die Klammer auf. Ich nehme die andere und ziehe den Deckel ab."
  Als Frank den Deckel in der Hand hielt, öffnete der Kopf in dem Behälter die Augen. Leises Wimmern drang aus seinem Mund. Mit einem glucksendem Schrei sank Lisa zu Boden. Frank starrte auf die glasigen Augen des Kopfes. 'Tot', dachte er und 'sie haben Köpfe eingefroren'.
  Frank zog ein anderes Fach auf. Durch das Glas waren die Umrisse eines Menschen sichtbar.
  "Frank, was ist das hier?"
  "Sie frieren Menschen ein, Köpfe und ganze Körper. Ich habe davon gelesen." Frank deutete auf den Mann in dem Glassarg. "Es ist wie eine Zeitmaschine. Die hier liegen haben dafür bezahlt, so lange eingefroren zu bleiben, bis sie in einer Zukunft landen, in der sie ewig leben können, oder, was die Köpfe angeht, ihr Bewusstsein in einen Computer geladen werden kann, oder", und Frank zeigte auf ein Formular, das auf dem Sarg klebte, "sie warten auf den Moment, in dem ihre Krankheit heilbar ist. Dieser zum Beispiel hat Krebs." Frank richtete sich auf. "Ich nehme an, seine Eltern haben ihn hier her gebracht. Er ist erst achtzehn Jahre alt."
  Lisa erhob. "Ohne Energie sterben die doch, oder?"
  "Stimmt", antwortete Frank und hastete zum Schrank.
  "Hier ist es. Wiederbelebungsprozedur!", rief er und zog einen Ordner hervor. Er enthielt nur ein Blatt. 'Siehe Tastatur'. Frank rannte zum PC. Auf dem Keyboard klebte ein kleiner, vergilbter Zettel. "Alt, Ctrl, F3." Der Computer war tot. 
  "Ohne Strom kein Leben", resignierte Frank. 
  "Können wir denn gar nichts tun?", rief Lisa und löste eine Klammer nach der anderen. Sie hob den Deckel und rief: "Ein Schwarzer". Lisa beugte sich zu dem Mann hinab. "Sieht aus wie Mike Thyson. Doch dieser ist größer." 
  Frank hob die Augenbrauen. "Größer als Mike Thyson?" Der Mann war kleiner. 
  "Und länger", fügte Lisa hinzu. "Ich kenne Thyson vom Lapdance." Lisas Hand fuhr über den Körper des Mannes hinweg. "Das ist nicht fair. Der Mann stirbt mir doch unter den Händen weg."
  Ein schöner Tod, dachte Frank. Lisa drehte sich zu Frank. "Ich versuchs."
  "Was?"
  "Ich hole ihn zurück."
  "Wie denn?" fragte Frank konsterniert. 
  "Lass mich nur machen. Nehmen wir ihn mit."
  Unter Mühen hoben sie den Mann auf den Seziertisch und rollten ihn auf den Parkplatz. Er war noch nicht aufgetaut. Frank kam sich vor wie auf einem Schlachthof. Sie fanden einen Kleinlaster und wuchteten den Körper auf die Ladefläche. Die Abenddämmerung hatte eingesetzt und die ersten Sterne funkelten durch die Speichen des Schwungrades, das wie ein Artifakt aus den Zeiten der industriellen Revolution wirkte. Die Lichter der Stadt waren erloschen. Langsam fuhren sie in die zunehmende Dunkelheit auf der Suche nach einem Motel. Sie fanden eines. Auf dem Platz davor standen einige Wagen. Frank und Lisa griffen nach den Lampen, nahmen ihre Taschen und gingen an dem Portier vorbei, der seinen Kopf fortgesetzt auf den Empfangstresen knallte. Frank zog sich einen Schlüssel vom Bord, Lisa nahm sich einen anderen. Frank ging mit Lisa in den Korridor. Sie schloss ihr Zimmer auf, leuchtete hinein, stellte ihre Tasche ab und sagte: "Tragen wir ihn hier rein." Lisa trieb einen Wäschewagen auf und schob ihn zum Fahrzeug. Sie rollten den Mann in Lisas Zimmer. Sekunden später lag der Schwarze auf Lisas Bett. 
  "Wir sehen uns Morgen." Lisa schob Frank zur Tür hinaus und schloss die Tür von innen. Frank brauchte nicht zu fragen, doch er tat es trotzdem. "Was willst du mit ihm machen?"
  "Ich hole ihn zurück, er braucht menschliche Wärme", kam es hinter der Tür hervor. "Und jetzt geh schlafen." Frank stand wie schockgefroren, dann schulterte er seine Tasche und schlurfte in den Empfangsraum zurück. Der Lampenkegel zuckte über ein durchgesessenes Sofa, über Fernseher, einen Kaffeautomaten. Das Fenster schien eine schwarze Wand. Frank ließ sich auf die Couch fallen. Vergeblich versuchte er Gedanken zu vertreiben, die hinterfragen wollten, was in Lisas Zimmer ablief. Er hatte Lisa verloren, an ein Stück Gefrierfleisch. Geräusche vom Empfangstresen, das Klopfen und Pochen aus den Zimmern, glichen einer chinesischen Folter. Frank warf einen Blick auf den Portier und dachte: Der hat es besser getroffen als ich. Frank schlurfte auf den Parkplatz zurück. 

  Er kreuzte mit dem Laster durch die Stadt. Stehen gebliebene Fahrzeuge tauchten unter den Scheinwerfern auf, verschwanden und Frank dachte: 'Relikte der Vergangenheit, wie ich'. Sein Wagen rumpelte über Bürgersteige, holperte durch Parkanlagen. Warum blieb er in der Stadt? Was hielt ihn hier? Ihm brummte der Kopf und er wollte nicht denken. Frank stoppte den Wagen an der Fußgängerzone. Seine Blutdrucktabletten. Er suchte vergeblich. Frank griff nach der Taschenlampe und stieg aus, ging durch die Fußgängerzone, leuchtete die Geschäfte ab, bis er eine Apotheke fand. Er setzte sich davor und starrte in den Himmel. Sterne blinkten. Frank war, als sendeten sie eine Botschaft. Menschen lagen um ihn herum. 'Sind sie tot? Ist das ein Traum? Ich will es gar nicht wissen.' 
  Frank schlief bis in den frühen Morgen. In der Apotheke fand er seine Medikamente, sah Viagra und ließ es liegen. 

  Als er mit seinem Wagen davon fuhr sah er nicht, dass ein Fahrzeug aus der Deckung eines Lasters hervorkam und ihm folgte. Auf der Highway bemerkte er ihn. Er gab Gas. Der Wagen blieb hinter ihm. Er änderte seine Distanz auch nicht, als Frank das Gas weg nahm. Frank konnte den Fahrer im Rückspiegel nicht erkennen. Doch wer konnte es schon sein als... Frank beschleunigte und fuhr auf den nächsten Parkplatz. Lisa fuhr ihren Wagen an seinen heran, stieg aus, griff nach ihrer Tasche, ging auf Franks Wagen zu und kletterte auf den Beifahrersitz. Sie wirkte bleich und übernächtigt, trug ein leichtes Sommerkleid. 
  "Wie ist es gelaufen? Hast du ihn zurück geholt?" Lisa schüttelte den Kopf und sah nach vorn.
  "Nach zwei Stunden habe ich es abgebrochen." Frank fragte nicht was. Er ließ die Apothekentüte, die ihm Lisa in die Hand drückte auf seinem Schoß, schloss die Augen und bewegte sich nicht. Es war ein Traum. Wenn er die Augen öffnete, würde er zu Haus in seinem Bett aufwachen.
"Frank." Lisas Stimme holte ihn in die Wirklichkeit zurück. Eine Welle der Verzweiflung schwappte über ihn hinweg und Schluchzen schüttelte seinen Körper.
  "Frank!" Lisa stieg aus und lief um den Wagen herum. Sie riss die Fahrertür auf.
  "Rück rüber, Frank." Dann saß sie wieder neben ihm und ließ den Motor an.

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