ODYSSEUS 2000
Personal Identity and social living

ITINERARIES
stories of voyages into the world

My flowering side you never saw!
Edgar Lee Master
Einführung

Denken wir an unser Buch als an einen gemeinsamen Roman einer Gruppe von ungefähr 40/50 Personen, die eines Tages aus ihrem Haus abgefahren sind, um anderswohin umzuziehen. Mal waren sie allein, mal war die Familie schon unterwegs und der Darsteller hat nur die Reise fortgesetzt, und hat sich dann an den schon bestehenden Umbruch angepaßt. Einige - die Zigeuner - gehören zu den Völkern, die in der Geschichte immer als Wanderer angesehen worden sind. Sie sind aber dennoch schon seit einigen Generationen in den Städten angesiedelt, wo wir sie getroffen haben.
Es sind vielfältige Wege, die in jedem Ort der Welt anfangen und in Europa enden; aber die finden wir auch innerhalb Europas. Es gibt verschiedene Gründe dafür. Mal sind es Kriege oder politischer Chaos im eigenen Land, es sind die Suche nach einem sichereren oder besser bezahlten Job , ein Studium oder ein Sport. Einige Reisen werden nur deshalb unternommen, weil ein Verwandter oder ein Freund das Gleiche getan hat. Einige Reisen haben am Anfang kein Ziel und dann entwickeln sie sich nach den bestehenden Umständen.
Einige Wanderwege sind einfach und nach dem Ziel orientiert, andere sind lang und durch Etappen in verschiedenen Ländern und Städten gekennzeichnet. Manchmal war die Frau die erste, die weggegangen ist, mal der Vater, und dann wurden sie allmählich von der Familie erreicht. Einige Familien sind zusammen weggefahren, andere haben den Wechsel nicht ertragen können und haben sich geteilt, manchmal haben sich neue Familien nach der Ankunft gegründet. Manchmal bestehen diese neuen Familien aus Mitbewohnern, die in unterschiedlichen Zeiten und aus unterschiedlichen Städten weggefahren aber in die gleichen Ortschaften gekommen sind. Mal sind es Leute aus verschiedenen Ländern, die in ein für beide ausländisches Land gekommen sind. In manchen Fällen ist einer der Mitglieder der neuen "gemischten" Familie ein Eingeborene.
In diesen fahrenden, neu gegründeten, reisenden und sich entwickelnden Familien findet nicht nur ein Landwechsel statt, aus einem sozialen und kulturellen Umfeld zu einem anderen, sondern auch eine Veränderung im Leben der Betroffenen, von der Jugend zur Gründung einer Familie und deren Wiedervereinigung, zur Geburt eines Kindes, das nacher im neuen Land wächst. Die individuelle Geschichte verbindet sich mit der des "Wanderers". Einige der Kinder sind im Herkunftsland geboren: für sie entsprach die Reise einem plötzlichen Verlassen der Wurzeln, der besten Freunden oder der Liebe der Verwandten, dem Verlassen eines Kontextes, wo normalerweise die Etappen des Lebens allmählichere Trennung oder Emanzipation ermöglichen. Andere Kinder sind im Ankunftsland geboren, in einem Kontext, wo die Bezugspunkte noch nicht fest sind und die Eltern es noch versuchen, sich anzupassen und zu verwurzeln.
Es sind vielfältige und unterschiedliche Geschichten, die direkt von den Protagonisten mit eigenen Worten und Bildern erzählt werden. Sie können nur mit Schwierigkeit in verallgemeinenden soziologischen Typen eingeschränkt werden, geeigneter sind sie für eine Untersuchung, deren Ziel ist es, Makrophenomena zu beschreiben. Die soziostatistische Analyse ist deshalb wichtig, weil sie ein allgemeines Bild des Kontextes darstellt, das notwendig ist, damit wir der in der Welt sich ereignenden Umbrüche bewußter werden. Die biographische Erzählung ermöglicht es, im inneren der Protagonisten durchzuleuchten und deren für uns oft unerfaßbare persönliche Meinungen, Fragen und Zweifel zu analysieren. Uns stellt sie vor einem besonderen, direkteren Kontext, der uns genauer erzählt, was sich in jenem allgemeinen Kontext, von dem wir auch Mitglieder sind, passiert.
Der von uns fürs Erzählen der Interviews gewählte "Leseschlüssel" (der auf die Besonderheiten, die Erfahrungen der Einzelnen, die Worten achtet) ist unser Versuch, jenseits der einfachen Beschreibung und der Zusammenfassung der persönlichen Ereignissen zu gehen, um unsere Informationsplicht zu absolvieren. In unserer Informationsgesellschaft fühlen wir uns schuldig, wenn wir nicht übers Ganze informiert sind, auch über die Hunderten von "Geschichten" der Einzelnen, die heutzutage in vielfältigen Zeitschriften erscheinen.
Die ganzen Geschichten unserer Protagonisten geben uns aber die Möglichkeit, einige für alle nützliche Anlässe zur Überlegung zu suchen. Die Leute, die wir interviewt haben, könnten dadurch aus reinen "Objekten" unserer Untersuchung zu "Subjekten" werden, die aktiv agieren und sich voll einsetzen. Es ist eine Möglichkeit, durch die von anderen Personen erzählten Geschichten auf unsere Erfahrung als Zuhörer zu überlegen. Auf dieser Grundlage können wir noch andere Wege mit wechselseitigen Austauschen entwerfen, in denen auch wir Zuhörer uns einsetzen, damit die anderen uns "hören" können. Das "Lernen, zu sehen" ist unsere Aufgabe; das, jenseits des gewöhnlichen Blickes, wenn wir das Glück haben, Leute zu treffen, die wie uns fühlen und sich aufregen, die sich aber mal vor einem Scheideweg, ja einem sozialen und kulturellen Umbruch gefunden haben. Die Erfahrungen solcher Leute sind halt eine Vorankündigung des allgemeineren in der Welt sich ereignenden Umbruchs. Er wird uns einbeziehen - oder uns schon einbezieht - und das nicht nur in unserer öffentlichen Funktion als Verantwortliche des guten Betriebs eines Verbandes oder einer Institution, sondern als einzelne Personen.
Wenn wir diese Absichten und diese Methoden gewählt haben, entspricht das keinen sofortigen Erfolgserlebnissen, in denen sich blitzschnell das Beste der eingesetzten Potentialen herausstellt. Es ist klar, daß die methodologischen Schwierigkeiten nicht einfach sind; dazu kommt auch das Problem des linguistischen und kulturellen Unterschieds innerhalb der gleichen Arbeitsgruppe: Italiener, Spanier, Deutsche und Schweden haben meistens Englisch als Arbeitssprache verwendet, von Dolmetschern unterstützt. Der Vergleich, die genauere Analyse der Methode und der persönlichen Bedeutung der Erfahrung wird komplizierter. Die Zeiten werden länger, wenn man darauf warten muß, daß jemand für uns übersetzt und uns bestätigt, daß wir die Mitteilung eines Partners richtig ausgelegt haben.
Das Problem des linguistischen Unterschieds der Arbeitsgruppe beeinflußt auch die Ausfertigung dieses "Romans": man sollte jedesmal in die verschiedenen Sprachen auch die ersten Entwürfe und die zweiten übersetzten, und dann das Ganze korrigieren, um genauer zu sein. Praktisch wird dadurch eine "mehrhändige" Arbeit unmöglich. Man muß die Tätigkeit höchstmöglich vereinfachen und in den wenigen Begegnungen vergleichsweise die Ergebnisse abwägen. Das in einer linguistischen uneinheitlichen Gruppe "Fernarbeiten" ist eine weitere Erfahrung in der Erfahrung und könnte schon ein und für sich das würdige Objekt einer spezifischen Studie sein. Dann gibt es die Menge des Materials, das hergestellt wurde: 35 Interviews, die von 15 Leute gesammelt und von anderen 16 Leuten übersetzt wurden. Auch die Überlegungen des experimentellen Ausbildungswerkstattes "Das interkulturelle Lernen", das in Jesi im April 1999 stattgefunden und andere 40 Leute einbezogen hat, sind hinzuzufügen. Der Charme des gemeinsamen Romans als "Leseschlüssel" der ganzen Erfahrung ist insofern auch ein "Fluchtweg" aus den Schwierigkeiten, auf die ich mich schon vorher bezogen habe: Ich werde mich um die Wiederauslegung, die Ausführung, die Schlußfolgerungen kümmern. Ich werde aber nicht nur die Verantwortung übernehmen, sondern ich werde auch frei mit der Methode arbeiten, um den allgemeinen Sinn zu erfassen, ohne die unzähligen Besonderheiten zu vernachlässigen. Ich weiß Bescheid, es ist unmöglich, in wenigen Seiten eines "Romans" die ganzen Erfahrungen zusammenzufassen. Aber ich glaube, es reicht schon, um die ganzen Protagonisten anzuspornen, den Weg auch individuell, in anderen Kontexten und auch mit anderen Leuten fortzusetzen. Somit könnten auch die im Hintergrund gedrängten Aspekten genauer analysiert und neue zusätzliche Wege entwickelt werden.
Den Text habe ich in vier Teilen strukturiert. Der erste Teil ist eine lange Einleitung und Vorstellung, eine Sorte von "Bild der Gruppe" der Personen, die interviewt wurden. Hier geht es mehr um den Kontext, das Herkunftsland, die Reise und die anfängliche Eingewöhnung im Ankunftsland. Es ist der erste Kontakt mit den Migrationen und den vielfältigen individuellen Wegen. Im zweiten Teil wird das Bild vollkommener und auch die Interviewer erzählen ihre "Methodologie" und Erfahrung. Es ist eine Überlegung auf die Methode des biographischen Interviews, auf ihren Nutzen nicht nur für die soziale Untersuchung sondern auch für die Ausbildung und die Didaktik. Im dritten Teil geht es um die Beziehung (die Verflechtung) zwischen Sprache und Identität. Der vierte Teil ist den kulturellen Vermittlern der Familie gewidmet, den Kindern und ihren verantwortungsvollen Fortsetzten des von ihrer eigenen Familie angefangenen Wegs.


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