ITINERARIES
stories of voyages into the
world
Denken wir an unser Buch als an einen gemeinsamen Roman
einer Gruppe von ungefähr 40/50 Personen, die eines Tages aus ihrem
Haus abgefahren sind, um anderswohin umzuziehen. Mal waren sie allein,
mal war die Familie schon unterwegs und der Darsteller hat nur die Reise
fortgesetzt, und hat sich dann an den schon bestehenden Umbruch angepaßt.
Einige - die Zigeuner - gehören zu den Völkern, die in der Geschichte
immer als Wanderer angesehen worden sind. Sie sind aber dennoch schon seit
einigen Generationen in den Städten angesiedelt, wo wir sie getroffen
haben.
Es sind vielfältige Wege, die in jedem Ort der Welt
anfangen und in Europa enden; aber die finden wir auch innerhalb Europas.
Es gibt verschiedene Gründe dafür. Mal sind es Kriege oder politischer
Chaos im eigenen Land, es sind die Suche nach einem sichereren oder besser
bezahlten Job , ein Studium oder ein Sport. Einige Reisen werden nur deshalb
unternommen, weil ein Verwandter oder ein Freund das Gleiche getan hat.
Einige Reisen haben am Anfang kein Ziel und dann entwickeln sie sich nach
den bestehenden Umständen.
Einige Wanderwege sind einfach und nach dem Ziel orientiert,
andere sind lang und durch Etappen in verschiedenen Ländern und Städten
gekennzeichnet. Manchmal war die Frau die erste, die weggegangen ist, mal
der Vater, und dann wurden sie allmählich von der Familie erreicht.
Einige Familien sind zusammen weggefahren, andere haben den Wechsel nicht
ertragen können und haben sich geteilt, manchmal haben sich neue Familien
nach der Ankunft gegründet. Manchmal bestehen diese neuen Familien
aus Mitbewohnern, die in unterschiedlichen Zeiten und aus unterschiedlichen
Städten weggefahren aber in die gleichen Ortschaften gekommen sind.
Mal sind es Leute aus verschiedenen Ländern, die in ein für beide
ausländisches Land gekommen sind. In manchen Fällen ist einer
der Mitglieder der neuen "gemischten" Familie ein Eingeborene.
In diesen fahrenden, neu gegründeten, reisenden
und sich entwickelnden Familien findet nicht nur ein Landwechsel statt,
aus einem sozialen und kulturellen Umfeld zu einem anderen, sondern auch
eine Veränderung im Leben der Betroffenen, von der Jugend zur Gründung
einer Familie und deren Wiedervereinigung, zur Geburt eines Kindes, das
nacher im neuen Land wächst. Die individuelle Geschichte verbindet
sich mit der des "Wanderers". Einige der Kinder sind im Herkunftsland geboren:
für sie entsprach die Reise einem plötzlichen Verlassen der Wurzeln,
der besten Freunden oder der Liebe der Verwandten, dem Verlassen eines
Kontextes, wo normalerweise die Etappen des Lebens allmählichere Trennung
oder Emanzipation ermöglichen. Andere Kinder sind im Ankunftsland
geboren, in einem Kontext, wo die Bezugspunkte noch nicht fest sind und
die Eltern es noch versuchen, sich anzupassen und zu verwurzeln.
Es sind vielfältige und unterschiedliche Geschichten,
die direkt von den Protagonisten mit eigenen Worten und Bildern erzählt
werden. Sie können nur mit Schwierigkeit in verallgemeinenden soziologischen
Typen eingeschränkt werden, geeigneter sind sie für eine Untersuchung,
deren Ziel ist es, Makrophenomena zu beschreiben. Die soziostatistische
Analyse ist deshalb wichtig, weil sie ein allgemeines Bild des Kontextes
darstellt, das notwendig ist, damit wir der in der Welt sich ereignenden
Umbrüche bewußter werden. Die biographische Erzählung ermöglicht
es, im inneren der Protagonisten durchzuleuchten und deren für uns
oft unerfaßbare persönliche Meinungen, Fragen und Zweifel zu
analysieren. Uns stellt sie vor einem besonderen, direkteren Kontext, der
uns genauer erzählt, was sich in jenem allgemeinen Kontext, von dem
wir auch Mitglieder sind, passiert.
Der von uns fürs Erzählen der Interviews gewählte
"Leseschlüssel" (der auf die Besonderheiten, die Erfahrungen der Einzelnen,
die Worten achtet) ist unser Versuch, jenseits der einfachen Beschreibung
und der Zusammenfassung der persönlichen Ereignissen zu gehen, um
unsere Informationsplicht zu absolvieren. In unserer Informationsgesellschaft
fühlen wir uns schuldig, wenn wir nicht übers Ganze informiert
sind, auch über die Hunderten von "Geschichten" der Einzelnen, die
heutzutage in vielfältigen Zeitschriften erscheinen.
Die ganzen Geschichten unserer Protagonisten geben uns
aber die Möglichkeit, einige für alle nützliche Anlässe
zur Überlegung zu suchen. Die Leute, die wir interviewt haben, könnten
dadurch aus reinen "Objekten" unserer Untersuchung zu "Subjekten" werden,
die aktiv agieren und sich voll einsetzen. Es ist eine Möglichkeit,
durch die von anderen Personen erzählten Geschichten auf unsere Erfahrung
als Zuhörer zu überlegen. Auf dieser Grundlage können wir
noch andere Wege mit wechselseitigen Austauschen entwerfen, in denen auch
wir Zuhörer uns einsetzen, damit die anderen uns "hören" können.
Das "Lernen, zu sehen" ist unsere Aufgabe; das, jenseits des gewöhnlichen
Blickes, wenn wir das Glück haben, Leute zu treffen, die wie uns fühlen
und sich aufregen, die sich aber mal vor einem Scheideweg, ja einem sozialen
und kulturellen Umbruch gefunden haben. Die Erfahrungen solcher Leute sind
halt eine Vorankündigung des allgemeineren in der Welt sich ereignenden
Umbruchs. Er wird uns einbeziehen - oder uns schon einbezieht - und das
nicht nur in unserer öffentlichen Funktion als Verantwortliche des
guten Betriebs eines Verbandes oder einer Institution, sondern als einzelne
Personen.
Wenn wir diese Absichten und diese Methoden gewählt
haben, entspricht das keinen sofortigen Erfolgserlebnissen, in denen sich
blitzschnell das Beste der eingesetzten Potentialen herausstellt. Es ist
klar, daß die methodologischen Schwierigkeiten nicht einfach sind;
dazu kommt auch das Problem des linguistischen und kulturellen Unterschieds
innerhalb der gleichen Arbeitsgruppe: Italiener, Spanier, Deutsche und
Schweden haben meistens Englisch als Arbeitssprache verwendet, von Dolmetschern
unterstützt. Der Vergleich, die genauere Analyse der Methode und der
persönlichen Bedeutung der Erfahrung wird komplizierter. Die Zeiten
werden länger, wenn man darauf warten muß, daß jemand
für uns übersetzt und uns bestätigt, daß wir die Mitteilung
eines Partners richtig ausgelegt haben.
Das Problem des linguistischen Unterschieds der Arbeitsgruppe
beeinflußt auch die Ausfertigung dieses "Romans": man sollte jedesmal
in die verschiedenen Sprachen auch die ersten Entwürfe und die zweiten
übersetzten, und dann das Ganze korrigieren, um genauer zu sein. Praktisch
wird dadurch eine "mehrhändige" Arbeit unmöglich. Man muß
die Tätigkeit höchstmöglich vereinfachen und in den wenigen
Begegnungen vergleichsweise die Ergebnisse abwägen. Das in einer linguistischen
uneinheitlichen Gruppe "Fernarbeiten" ist eine weitere Erfahrung in der
Erfahrung und könnte schon ein und für sich das würdige
Objekt einer spezifischen Studie sein. Dann gibt es die Menge des Materials,
das hergestellt wurde: 35 Interviews, die von 15 Leute gesammelt und von
anderen 16 Leuten übersetzt wurden. Auch die Überlegungen des
experimentellen Ausbildungswerkstattes "Das interkulturelle Lernen", das
in Jesi im April 1999 stattgefunden und andere 40 Leute einbezogen hat,
sind hinzuzufügen. Der Charme des gemeinsamen Romans als "Leseschlüssel"
der ganzen Erfahrung ist insofern auch ein "Fluchtweg" aus den Schwierigkeiten,
auf die ich mich schon vorher bezogen habe: Ich werde mich um die Wiederauslegung,
die Ausführung, die Schlußfolgerungen kümmern. Ich werde
aber nicht nur die Verantwortung übernehmen, sondern ich werde auch
frei mit der Methode arbeiten, um den allgemeinen Sinn zu erfassen, ohne
die unzähligen Besonderheiten zu vernachlässigen. Ich weiß
Bescheid, es ist unmöglich, in wenigen Seiten eines "Romans" die ganzen
Erfahrungen zusammenzufassen. Aber ich glaube, es reicht schon, um die
ganzen Protagonisten anzuspornen, den Weg auch individuell, in anderen
Kontexten und auch mit anderen Leuten fortzusetzen. Somit könnten
auch die im Hintergrund gedrängten Aspekten genauer analysiert und
neue zusätzliche Wege entwickelt werden.
Den Text habe ich in vier Teilen strukturiert. Der erste
Teil ist eine lange Einleitung und Vorstellung, eine Sorte von "Bild der
Gruppe" der Personen, die interviewt wurden. Hier geht es mehr um den Kontext,
das Herkunftsland, die Reise und die anfängliche Eingewöhnung
im Ankunftsland. Es ist der erste Kontakt mit den Migrationen und den vielfältigen
individuellen Wegen. Im zweiten Teil wird das Bild vollkommener und auch
die Interviewer erzählen ihre "Methodologie" und Erfahrung. Es ist
eine Überlegung auf die Methode des biographischen Interviews, auf
ihren Nutzen nicht nur für die soziale Untersuchung sondern auch für
die Ausbildung und die Didaktik. Im dritten Teil geht es um die Beziehung
(die Verflechtung) zwischen Sprache und Identität. Der vierte Teil
ist den kulturellen Vermittlern der Familie gewidmet, den Kindern und ihren
verantwortungsvollen Fortsetzten des von ihrer eigenen Familie angefangenen
Wegs.
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