Laokoon: Ein halbes Jahrtausend Vatikanische Sammlung
In diesem Jahr 2006 begehen die Vatikanischen Museen die Feier der 500 Jahre ihres Bestehens.
Wie bei vielem, was in Jahrtausenden römischer Geschichte gewachsen ist, mag man über das genaue Datum streiten.
Im Jahres 1506 entdeckten Arbeiter in der Erde eines Weinbergs auf dem
Colle Oppio, dem Kolosseum gegenüber, die Marmorgruppe eines
Mannes, der mit zwei Söhnen von Schlangen zerdrückt und
erwürgt wird.,
Als sich die Nachricht verbreitete, wurde Michelangelo von seinem
Freund Giuliano da Sangallo frühmorgens geweckt und eilte zur
Fundstelle. Die freiglegte Gruppe wurde als die von Plinius
beschriebene Laokoonstatue identifiziert und gehörte entweder in
die Sammlung Kaiser Neros in seinem Goldenen Haus oder zu den Thermen
des Kaisers Titus, möglicherweise nacheinander zu beiden. Sie ist
wohl um die Wende vom zweiten zum ersten Jahrhundert v. Chr. nach
einem etwas älterem Original in Bronze auf der Insel Rhodos,
damals ein
Zentrum hellenistischer Kunst, geschaffen worden.
Papst Julius II., der zu Beginn des 16. Jahrhunderts Rom zum Zentrum
der Renaissance machte, erwarb den Fund und liess ihn in den
oktogonalen Innenhof der Belvedere-Villa auf dem
Vatikanhügel bringen. Dort bildet sie seit 500 Jahren eine
spannungsreiche Dreiheit mit der im Altertum vom römischen Volk
besonders beliebten Momentaufnahme des Sportlers nach dem Triumph, dem
"Apoxyomenos" (Abschaber) und dem ephebischen, in olympischer
Vollkommenheit schwebenden jugendlichen "Apoll vom Belvedere".
Kein menschlicher Strurm und Drang kann diesem überweltlichen
Schönheitsideal die Stirn kräuseln. Laokoon dagegen ist ein
Schrei! Gegen das Geschick, das die Götter diktieren in ihrem
Interesse. Laokoon ist ein Aufbäumen gegen die fesselnden und
erwürgenden Schlangen, die mundtot machen wollen, wer aus
Pflichtgefühl warnt. Laokoon mit seinen beiden jungnen Söhnen
ist eine Pyramide der Selbstbehauptung gegen die Vernichtung im ewigen
Kriegsspiel der ewigen Parteiungen, die alle ihr Recht und ihre
für oder gegen sie streitenden Gottheiten haben.
Der kraftvolle Wuchs (Physis) dieser Laokoonfigur, der sich mit der
Wucht der Verzweiflung aufrichten will, der in der würgenden
Tortur seinen kraftvollen Körper dreht und windet, hat wie
kaum ein anderes Werk der Antike die Ausdrucksmöglichkeiten
Michelangelos bereichert. Beim Auffinden des Laokoon 1506 waren es fast
zehn Jahre her, dass Michelangelo seine ihm eigene Pyramide des
Schmerzes geschaffen hatte, aber in einem ganz anderen Geist: die
Pietà von St. Peter. Die sitzende Mutter mit ihrem ihr gewaltsam
genommenen Sohn auf dem Schoss ist beseelt von ruhiger Annahme und
Hoffnung, von glaubender Sicherheit, dass in diesem zur Ruhe gebetteten
Körper ein neuer Grundstein der Menschheitsgeschichte gelegt ist.
Diese lineare Ruhe des jugendlichen Antlitzes und stabile Sicherheit
des bergenden Körpers hat Michelangelo so ausdrucksstark nach 1506
nicht mehr geschaffen. Das Schöpfungsdrama und die Urteilsgeste
des Letzten Gerichts in der Sixtinischen Kapelle haben die
Laokoonsfigur wie einen "Stachel im Fleische", aber auch die kraftvolle
Zuversicht, das letzte "Warum?" ohne Verzweiflung auszuhalten..